Seit 1993, als die ersten 17 Schüler den Unterricht in der deutschen Klasse aufnahmen, werden nämlich jedes Jahr - aus einer Vielzahl von Bewerbern auf der Basis einer objektiven Aufnahmeprüfung in Mathe, Ungarisch und Deutsch - die begabtesten 14-jährigen ausgewählt. Die Vorbereitung auf diesen Zug fängt meistens schon ein Jahr früher (Ende September) mit einem Einstufungstest an, womit Schülern der 8. Klasse zum ersten Mal beschieden wird, ob ihre Sprachkenntnisse genügen, den Vorbereitungskurs, der 4 nachmittägliche Deutschstunden pro Woche umfasst, mitzumachen. Sprachlich sehr gute SchülerInnen werden abgeraten, den Sprachkurs zu besuchen. In 60 Stunden versuchen dann meine Kollegen mit der Hilfe des Lehrbuches "Deutsch aktiv 1B", die Wissenslücken zu füllen und die vorhandenen Niveau-Unterschiede auszugleichen. Dabei messen sie auch den Lernfortschritt regelmäßig. Bis zur Aufnahmeprüfung im Februar nehmen am Sprachkurs alle bedürftige Interessenten teil, danach nur diejenigen, die alle drei Prüfungen bestehen konnten und aufgenommen wurden.
Mit diesem Vorgehen wollen wir erreichen, dass die ausgewählten Schüler den erhöhten Anforderungen gerecht werden, insbesondere was den Unterricht in den in deutscher Sprache gehaltenen anderen Fächern angeht. Diese sind Geschichte und Mathematik, die 4 Jahre unterrichtet werden und Geographie, die nach den ersten beiden Jahren von Physik oder Biologie oder Chemie abgelöst wird.
Deutsch, das für unsere SchülerInnen nicht nur eine Fremdsprache, sondern auch die Vermittlungssprache der einzelnen Fächer ist, wird auch in großen Stundenzahlen (8 Stunden pro Woche im ersten Jahr und je 5 Stunden von der 2. Klasse) angeboten, und unterscheidet sich grundsätzlich vom sich mit allgemeinen und alltäglichen Themen beschäftigenden DAF-Unterricht . Unser Interesse liegt in erster Linie an landeskundlichen und literarischen Themen, wobei das in anderen Fächern Erlernte und die selbsterfahrene ungarische Realität als Ausgangspunkt dienen sollen.
Die Deutschkenntnisse der SchülerInnen werden auch in den folgenden 4 Jahren regelmäßig gemessen: Sie müssen am Ende des ersten Jahres eine dem Goethe-Zertifikat ähnliche, am Ende des zweiten eine der ungarischen staatlichen Mittelstufenprüfung entsprechende und am Ende des dritten eine erleichterte Oberstufenprüfung ablegen. In diesen „hausinternen” Prüfungen können sie ihr bisher Gelerntes unter Beweis stellen und auch ihre eigene Leistungsfähigkeit überprüfen. Im siebten Semester haben sie dann die Möglichkeit, an der Prüfung zum Deutschen Sprachdiplom der deutschen Kultusministerkonferenz, Stufe II teilzunehmen. Diese Prüfung wird zentral von Deutschland aus organisiert und wird an vielen Schulen in der ganzen Welt am gleichen Tag angeboten. Das DSD gilt als Nachweis über ausreichende Sprachkenntnisse, wenn man in Deutschland studieren möchte. Schließlich erhalten unsere SchülerInnen mit den besten Abiturnoten 5 und 4 in Deutsch automatisch die ungarische staatliche Oberstufenprüfung.
Um all diese Aufgaben und Pflichten ausführen zu können, müssen die
SchülerInnen von Anfang an über solche Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen,
die Ihnen ermöglichen, das Tempo halten und dadurch ein entsprechendes
sprachliches Niveau rasch erreichen zu können. Deshalb ist es für mich
schon bei der Zusammenstellung der jeweiligen Zulassungsprüfung maßgebend,
dass sie außer den Gütekriterien (Validität, Reliabilität und Objektivität)
grundsätzlich den auf die Schüler gesetzten Erwartungen meiner Kollegen
entsprechen und nicht nur sprachliche Kompetenz (die Fertigkeiten Lesen-Schreiben-(Hören-Sprechen)
, Wortschatz und Grammatik), sondern möglichst vielseitig auch kognitive
Kompetenz und Lernfähigkeit messen soll.
Beim Entwurf dieses Klassifikationstests bin ich davon ausgegangen,
dass er ohne großen technischen Aufwand, in kurzer Zeit gemacht und
korrigiert werden und doch vielerlei ungewöhnliche Aufgaben enthalten
soll, die aber durch einen Leitfaden miteinander verbunden sind. (Das waren
diesmal der kleine Prinz und Königin Elisabeth, letztes Jahr verschiedene
Tiere, vorletztes Jahr Weihnachten, zuvor kleine Kinder usw.) So habe ich
mich für eine reine schriftliche Arbeit entschieden, in der statt den im
zweisprachigen Unterricht bevorzugten kreativen Aufsätzen meistens
komplexe, halboffene Aufgaben (Ergänzungsaufgaben, Lückentexte usw.)
vorkommen, die die drei Gütekriterien besser erfüllen können.
Wie die Gesamtpunktzahl der Aufnahmeprüfung in Ungarisch bzw. in Mathe
beläuft sich auch die der in Deutsch genau auf 100. Davon machen die Punkte
für Texterstellung (Aufgaben 3,8,12) 34, die für "spielerische" Aufgaben
(1,4,5,9) 24, die für gelenkte sprachliche Reaktionen (10,11) 16 und die
für das Fragestellen (7) auch 16 aus. In der Leseverstehensaufgabe (2)
müssen wohl nur zwei Zahlen angegeben werden, die aber nach einer langen
Rechnerei, deshalb werden 6 Punkte für die richtige Lösung zugeteilt. Dass
ich gegen die traditionellen geschlossenen (Richtig/Falsch- bzw. Multiple-Choice-)
Aufgaben bin, kann leicht auch an diesem einzigen Test abgelesen werden.
Im Gegensatz zu Gage und Berliner, die das Formulieren von Mehrfachwahlitems
als eine Kunst bezeichnen , habe ich die Erfahrung, dass man den Ergebnissen,
die mit etwas Glück leicht zu schaffen sind, kein Vertrauen schenken darf
und in einer so gefährlichen Situation wie die Aufnahmeprüfung wollte ich
ja gar kein Risiko eingehen. Aus dem gleichen Grund habe ich auch das kreative
Schreiben weglassen müssen. Die einzige offene Aufgabe im Test (6) kann
ganz kurz beantwortet werden und wird deshalb nur mit 4 Punkten honoriert.
Obwohl das Ziel mit diesen Inhalten nicht eindeutig das Messen kommunikativer Kompetenz sein durfte, steckte ich so viel Kommunikatives in den Test, wie ich konnte. Die Instruktionen an den Tafeln , die deutschsprachige Fragestellung einerseits, einige direkte Aufgaben (6,10,11) andererseits verlangten von den Schülern Einfühlung und echte Reaktionen auf die Situationen. (Dabei wurden die für sie manchmal zu komplizierten Formulierungen mit einzelnen ungarischen Wörtern (múlt id?ben, szótaglánc) ergänzt. Diese Art Hilfe soll dazu beitragen, dass die beängstigten Kinder bei der Fragestellung nicht in Panik geraten, sondern sich sofort auf das Problem konzentrieren können.) Ich habe ebenfalls alles getan, um die 2 Fertigkeiten Lesen und Schreiben im Gleichgewicht halten zu können, auf gewöhnliche grammatische Aufgaben habe ich aber leichten Herzens verzichtet. In den Aufgaben, wo Grammatik überhaupt gefragt wird (3,7,10,12), sind auch anderen Elementen, Gesichtspunkten (Leseverstehen, Textkohärenz, Wortschatz, kognitive und kommunikative Kompetenzen) große Wichtigkeit beigemessen.
Desto mehr Wert legte ich dagegen darauf, dass die Kandidaten möglichst viele längere authentische Texte (Aufgabe 2,3,7,8) in die Hand bekommen, um richtig feststellen zu können, ob sie im Gebiet bewandert sind. Nach den Erwartungen ihrer zukünftigen Lehrer müssen sie nämlich mit allerlei Textsorten (der Alltagssprache, Literatur, Wissenschaft, Fachsprache, Medien usw.) recht gut umgehen können. Inhaltlich umfassen die ausgewählten Texte ein breites Feld von der Alltagssprache durch Geschichte und Wirtschaft bis zur Literatur. Was den Umfang betrifft, machen diese ungefähr die Hälfte aller Aufgaben aus. Sie sind jedoch meiner Absicht nach im Test so verteilt, dass sie nicht gleich aufeinander folgen und so für die SchülerInnen nicht sehr anstrengend sind.
Als Einstieg dient eine spielerische Aufgabe, die wohl große Konzentration
braucht, zum Teil aber von jedem leicht gemacht werden kann. Danach kommt
ein komplizierter Lesetext mit vielen Begriffen und Daten, zur richtigen
Antwort genügt jedoch selektives Lesen. In der dritten Aufgabe muss ein
sprachlich einfaches, inhaltlich eindeutiges Gedicht mit den fehlenden
Verben ergänzt werden. Dazu wurde ich eigentlich von "Deutsch aktiv" ermutigt,
in dem sprachlich-grammatische Probleme oft an literarischen Texten verdeutlicht
werden. Darauf folgen drei kurze Aufgaben (4,5,6), die aber erfordern,
das Erlernte durch Assoziationen zu aktivieren, fremde Bausteine miteinander
zu verbinden bzw. Wissenselemente von eigenem Gesichtspunkt aus vorzutragen.
Aufgabe 7 ist die längste und vielleicht anstrengendste von allen. Die
Schüler müssen den Text lesen, verstehen, dann das ganze zerlegen und die
Satzbausteine bestimmen, schließlich die Fragen richtig formulieren können.
Das Schwierigkeitsgrad der einzelnen Fragestellungen schwankt von ganz
einfach bis unausführbar. Die nächste Aufgabe (8) ist etwas leichter. Die
SchülerInnen kennen die Grundzüge der Textsorte Lebenslauf, die sie in
dieser typischen Gedächtnisaufgabe über Königin Elisabeth in die Praxis
umsetzen sollen. Erinnerungsvermögen und Kombinationsfähigkeit brauchen
sie auch in der "Rio-Aufgabe 9, um ihre landeskundlichen Kenntnisse zum
Vorschein bringen zu können. Die nächsten 2 Aufgaben (10,11) verlangen
dagegen die Anwendung sprachlicher Ausdrucksmittel wie Reagieren mit Wunschsätzen
oder Beenden von Gedanken. In der letzten Aufgabe (12), die trotz dem Anschein
lieber Leseverstehen als Wortschatz messen will, wird die Interferenz
zwischen Ungarisch und Deutsch ausgenützt: Die Kurzsituationen/-erklärungen
enthalten Redewendungen, die im Ungarischen auch gebraucht werden und den
SchülerInnen deshalb bekannt sein können.
Dieser Test scheint dem Außenstehenden vermutlich ziemlich schwer zu
sein, weil die Aufgaben in einer bedrückenden Prüfungssituation ohne sichere
Schablonen das ganze Denkvermögen der SchülerInnen bewegen wollen. Sie
müssen wirklich viel (besonders Aufgaben 1,4,5,9 aber auch 2,3,7,8,12 oder
6,10,11) nachdenken, konzentrieren, ihr allgemeines Wissen aktivieren,
selektieren, logische Zusammenhänge finden, Gedanken abrunden, Texte herstellen,
rechnen, spielerische Probleme lösen, Mustern folgen und sogar Fachkenntnisse
haben. Ich wollte mit den Prüfungsaufgaben erreichen, dass die Kandidaten
alles zeigen, was sie im Kopf haben und sich damit nicht begnügen, was
sie in den Deutschstunden gelernt haben.
Wie es von den Zahlen abzulesen ist, fanden die SchülerInnen die Aufgaben
im allgemeinen nicht schwer. Die Schwierigkeitswerte liegen durchschnittlich
zwischen 50 - 80 %. Die meisten Kandidaten haben Punkte an den "spielerisch-logischen"
Aufgaben (1,4,5,9), besonders an der sicherlich seltsamen Aufgabe 4 verloren,
in die viele SchülerInnen wegen der geringen Punktzahl und der ungewöhnlichen
Denkarbeit überhaupt nicht eingingen . Dass sie daran scheiterten,
ist nur schwer zu verstehen, weil die Wortsilbenketten eigentlich in je
einem Schritt (ge-nie-re-den-ker, na-tur-ner-ven-til) zu lösen waren. Fast
so schwer fanden sie auch Aufgabe 5 mit dem Wert 50 %. Es ist zu bedenken,
ob man für diese Art Aufgaben im nächsten Test überhaupt Platz schaffen
soll. Die anderen zwei Aufgaben 1 und 9 haben sich dagegen gut (mit
66,4 % bzw.78,5 %) bewährt.
Die Aufgaben der Gruppe "Schreiben" (6,10,11) waren mit Schwierigkeitsgrad 66, 79,6 und 56 % viel ausgeglichener, wobei die stark gelenkte Aufgabe10 (mit Behauptungen, worauf mit freien oder aber auch mit transformierten Wunschsätzen reagiert werden konnte) im ganzen Test den Rang der leichtesten Aufgabe erreichte.
Die mit dem Lesen zusammenhängenden Aufgaben 2,7,12 waren im Durchschnitt noch leichter (79, 70,8 und 73,2 % insgesamt 73 %). Die Wirklichkeit ist doch nicht so schön. Bei der Korrektur stellte es sich heraus, dass einige Schüler die Instruktionen an der Tafel übersahen, und statt die Zahlen auszurechnen, zitierten sie bei der Aufgabe 2 einfach aus dem Text. So musste ich meine Messvorstellung revidieren und die Lehre ziehen, dass man den Umgang mit der Aufgabe nicht extra, sondern in der Fragestellung bestimmen soll. In Aufgabe 7 waren ebenfalls einige Fallen eingebaut, in die viele auch hineingingen. Typische Fehlerquellen waren Punkt 2, 3, 8, 11 und 12. Meistens haben sie den Text richtig verstanden, nur mit der Struktur der Frage waren sie nicht im klaren. (*Von wo bist du gefallen?, *Wen richtete er seine Fragen?, *Wo ist das Ding? usw.) Viele Punkte sind eigentlich auch in der Aufgabe 12 umsonst verloren gegangen. Die Schüler waren wahrscheinlich schon dekonzentrierter als zu Beginn der Arbeit. Sie schrieben z.B. eine Präposition in zwei Lücken ein (besonders auffallend war es bei auf bzw. aus), verwechselten sie miteinander (auf und aus!) oder verwendeten solche Präpositionen, die überhaupt nicht angegeben waren (wie in bzw. von). Oft konnten sie weder auf Bedeutung, noch auf grammatische Kongruenz mehr acht geben (*... kam er ... wieder im die Beine, *... stehen da wie eine Kuh auf neuen Tor, *Wird jemandem der Boden für den Füßen zu heiß..., usw.)
Die übrigen zwei Aufgaben (3,8) zog ich mit dem Namen "Texterstellung" zusammen, denn sie richtig zu lösen, brauchten die SchülerInnen Einfühlung, eigene Erfahrungen, Weltkenntnis aber auch allgemeine und Fachkenntnisse auf dem Gebiet Literatur und Geschichte. Beide Aufgaben schnitten sich gut ab. Sie waren ein bisschen schwieriger (64,7 und 60,4 %), als die Schreib- und Leseaufgaben, können dagegen den besten Korrelationswert ( stolze 0,88 ) zur Gesamtpunktzahl aufweisen.
Aufgabe 3 schien für die 14-jährigen in erster Linie deshalb schwierig zu sein, weil sie oft nicht wussten, wie frei sie mit einem modernen Gedicht umgehen können. Viele trauten sich z.B. nicht, zweimal das Wort goss anzugeben oder in die Lücke "Er ......... den Zucker In den Milchkaffee" das einfachste tat einzuschreiben. Der Abschluss wurde nur von wenigen richtig gelöst. Die meisten konnten die Intensität des ursprünglichen Gedichts mit dem Wort schlug bzw. weinte nicht wiedergeben. Ich nahm deshalb jede vernünftige Lösung an. (Wie hielt, hob bzw. lief, rannte...)
Andere Probleme tauchten bei Aufgabe 8 auf. In diesem Fall reichte es
nicht aus, wenn die SchülerInnen logisch denken konnten, sie mussten dabei
auch die österreichisch-ungarische Geschichte kennen. Und obwohl in den
letzten Jahren auch bei uns sehr viel über Sissy gesprochen haben, schienen
unsere Kandidaten all das überhört zu haben. Sie wussten oft nicht einmal
den Namen ihres Gatten, von den Umständen ihres Todes ganz zu schweigen.
Und das war oft auch der Fall bei Schülern mit ganz guten Sprachkenntnissen!
Punktzahl |
1 - 40 | 40-50 | 50-60 | 60-80 | 80-100 |
Schülerzahl (51) | 4 | 19 | 13 | 10 | 5 |
Aufgrund dieser Punktzahlen hatten also noch 28 Schüler die Chance, in der Zukunft das Karinthy-Gymnasium zu besuchen. Jetzt sind sie nur 17, und leider sind nicht nur die sprachlich Besten geblieben. Diesem Test alleine kommt also keine große Bedeutung zu. Mir hat die Zusammenstellung der Aufgaben Spaß gemacht, und manche BewerberInnen schienen sie auch genossen zu haben...
Frank Gabriella