Klaudia Kiss, Szilvia Dömötör

Interview mit der Gymnasiallehrerin Edina Horváth

Vorbemerkung

Im Februar und März 1989 führten Schüler der Klasse 3c Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern an verschiedenen Schulen zum Thema „Wende". Diese Interviews wurden aufgezeichnet. Eines davon ist hier als Transkript wiedergegeben.

Interviewerinnen:

Gegenüber uns sitzt eine der Lehrerinnen aus dem Karinthy Frigyes Gimnázium und sie ist Frau Horváth. Und wir werden über den Fall der Mauer sprechen. Also zuerst würden Sie uns ein wenig über sich erzählen?

Frau Horváth:

Ja, also, es hängt davon ab, was ihr wissen wollt. Aber ... , wie gesagt, ich unterrichte hier im Gymnasium Deutsch und Geschichte und ich bin 28 Jahre alt. Ich hab’ die Uni in Budapest besucht und zu dieser Zeit, also als die Mauern fielen, da - also nicht ganz zu dieser Zeit, aber in diesem Jahr von Februar bis März oder besser gesagt Mai - war ich in Deutschland. Das war ein Teilstudium.

Interviewerinnen:

Also waren Sie, als die Mauern fielen, in Deutschland?

Frau Horváth:

Nein, zu dieser Zeit war ich nicht in Deutschland. Das hab’ ich nur im Fernsehen gesehen.

Interviewerinnen:

Und wie haben Sie und Ihre Bekannten alles miterlebt? Und haben sich ungarische Leute überhaupt dafür interessiert?

Frau Horváth:

Ja, also, ich meine, sie haben sich dafür interessiert, weil bei uns es auch ähnliche Veränderungen gab, und das weiß ich auch, daß zum Beispiel Ungarn in dieser Zeit auch in diesen Prozessen eine sehr wichtige Rolle spielte. Ich weiß nicht, ob ihr darüber schon etwas gehört habt, aber der damalige Außenminister Horn Gyula hatte dabei eine sehr wichtige Rolle gespielt. Nämlich sehr viele DDR-Bürger haben Ungarn aufgesucht. Sie wollten natürlich in die BRD, in die Bundesrepublik, und sie dachten, daß sie durch Ungarn in die Bundesrepublik reisen können. Und dann haben sie hier natürlich Verwandte oder Freunde aufgesucht und dann natürlich in Richtung Österreich das Land verlassen. Und sie brauchten damals, wenn ich mich gut daran erinnere, Visum nach Österreich, und Horn Gyula war derjenige, der sie, also die Deutschen, ohne Visum nach Österreich ausfahren oder abfahren ließ.

Interviewerinnen:

Erinnern Sie sich daran, wie es in Deutschland abgelaufen ist, also jetzt in Ungarn, wie die Leute das mitbekommen haben?

Frau Horváth:

Ich verstehe die Frage nicht, eigentlich.

Interviewerinnen:

Was damals genau passiert ist, also in Deutschland.

 

Frau Horváth:

Also in welchem Jahr, in welchem Monat?

Interviewerinnen:

Ja ..., also..., 89.

Frau Horváth:

89. Also 89 da im November, am 9. November fiel die Mauer in Berlin. Das weiß ich. Und es gab da, wenn ich mich recht erinnere, im nächsten Jahr eine Währungsreform. Und da gab es noch früher im Jahre 1989, im Laufe dieses Jahres gab es Demonstrationen in vielen Städten der DDR und im nächsten Jahr, also 1990 im Oktober wurde dann das Land vereinigt.

Interviewerinnen:

Und was haben Sie gemerkt? Welche deutlichen Veränderungen gab es in Ungarn durch die Wende? Und meinen Sie, ob es mehr Vorteile oder mehr Nachteile gegeben hat?

Frau Horváth:

Es hängt davon ab für wen. Also ich meine für sehr viele Leute haben diese Veränderungen etwas Positives mitgebracht. Also, sie konnten Unternehmungen und Unternehmen gründen, Firmen gründen. Sie konnten ein besseres Leben führen. Aber es gibt auch sehr viele Leute, die diesen Wettkampf nicht aufnehmen konnten, sich nicht einschalten konnten und dann sehr langsam abrutschten. Und dann - sie haben auch Existenzprobleme. Es gab in Ungarn damals, also als ich in Budapest die Uni begann, gab es nicht so viele Bettler wie heutzutage, also so viele Menschen konntest du auf den Straßen nicht sehen, die keine Wohnung und kein Heim haben, kein Zuhause haben.

Interviewerinnen:

Und wie war die Lage? Also die Veränderungen, die diese Wende mitbrachte, ermöglichte neue Möglichkeiten. Und war das auch für Sie als Lehrerin so und für die Jugendlichen auch, also zum Beispiel die Vorteile.

Frau Horváth:

Tja, also diese Veränderungen waren für mich von Vorteil, nehm’ ich an, und so, ich meine, ich hab jetzt mehr Möglichkeiten als ich sonst gehabt hättte. Die Jugendlichen, ja, haben dann wirklich viel mehr Möglichkeiten als ich gehabt habe, als ich klein war, obwohl es mich damals nicht so sehr interessierte. Möglichkeit - das ist auch etwas, was wir definieren sollten, was für Möglichkeiten wir da meinen. Was zum Beispiel den Jugendlichen zur Verfügung steht - Internet und Computer - die kannten wir nicht. Und ihr könnt die Welt, mein ich, viel, viel oder öfter und auch besser kennenlernen als wir. Also ihr seid irgendwie freier, auch die Gedanken sind freier und das ist etwas sehr Wichtiges, daß ihr erlernen müßt, eure Gedanken zu formulieren und eure Meinungen zu formulieren. Und diese Möglichkeit hatten wir nicht, also das wurde uns nicht beigebracht, wie wir das machen können. Und das müssen wir jetzt erlernen.

Interviewerinnen:

Und zum Schluß, was können wir für die Zukunft erwarten, also was meinen Sie darüber?

Frau Horváth:

Die Jugendlichen oder im allgemeinen wir? Die Ungarn?

Interviewerinnen:

Ja, die Ungarn oder die Jugendlichen.

Frau Horváth:

In welchem Bereich?

Interviewerinnen:

Also, für die Schule die Möglichkeit zu lernen. Werden noch einige Veränderungen kommen oder nicht in dem Schulsystem?

Frau Horváth:

In dem Schulsystem? Also, das kann ich nicht beurteilen. Wir hatten ja schon mehrmals damit angefangen, Veränderungen einzuführen, aber dann sind diese Veränderungen immer gescheitert. Ich weiß es nicht, aber für euch wird es bestimmt nicht leicht sein, anfangs, euch und euren Willen durchzusetzen, aber damit soll man leben. Das muß man auch akzeptieren, daß es nicht so leicht ist. Aber, also ich glaube daran, wenn man hofft, und wenn man Willenskraft hat, dann hat man sehr viele Möglichkeiten im Leben und ihr habt auch sehr viele Möglichkeiten.

Interviewerinnen:

Danke für das Interview.